Die digitale Zukunft

Immer wieder taucht die Frage auf, warum wir uns so intensiv mit digitaler Fotografie beschäftigen, wo doch diese Technologie noch überhaupt nicht mit der aktuellen «chemischen» Konkurrenz zu vergleichen ist. Wenn wir jetzt darauf verweisen, dass vor fünf Jahren - damals wurde MOBILE TIMES Österreich gegründet - die gleiche Frage bezüglich Handy im allgemeinen und GSM im besonderen gestellt wurde, dann ist das zwar keine vollständige Antwort, aber ein Hinweis darauf, wie wir die Zukunft sehen. Einen interessanten Beitrag dazu lieferte Kodak-Vizepräsident Robert J. Keegan anlässlich der letzten Photokina. Eine Zusammenfassung dieses Referats finden Sie hier.


Die Fotografie ist an einem Punkt angelangt, den Analytiker als strategischen Konfliktpunkt ansehen würden. Bekanntlich gehen alle Geschäftszweige und Industrien durch einen Lebenszyklus. Alte Bereiche vergehen, neue steigen auf und schrumpfen ebenfalls wieder. Schreibmaschinen und Plattenspieler verschwinden geradezu über Nacht. Manche Industriezweige sterben sogar aus. Manche haben genug Vermögen angesammelt, um sich den neuen Herausforderungen zu stellen, und wenn sie klug sind, kommen sie sogar sehr erfolgreich wieder. Bei Kodak hat man die Zukunft analysiert und ist zur Erkenntnis gekommen, dass das, was die Zukunft der Fotografie ausmacht, recht verschieden von dem sein wird, was man sich heute darunter vorstellt.

Vier Faktoren werden laut Keegan diese Zukunft bestimmen: Technologie, Produkte, Märkte und Kunden.

Früher definierte die Fotoindustrie ihre Probleme als technisch: Chemiker entwickelten immer bessere Filmemulsionen. Die Filme wurden schärfer, kontrastreicher und lichtempfindlicher. Die Glaslinsen in den Kameras wurden durch Kunststofflinsen ersetzt, und die Kameras selbst wurden kleiner und billiger und dennoch intelligenter. Die Filmentwicklung wird in Labors durchgeführt, in denen es nur mehr eine Stunde dauert, bis man den entwickelten Film samt Bildabzügen bekommt. Und natürlich lieben es die Händler, Filme zu verkaufen. Filme brauchen wenig Platz im Regal, und man verdient gut daran. Die Konkurrenz ist zwar stark, aber doch eher kontrolliert - wie ein Schachturnier.

Für die Konsumenten ist es ebenfalls einfach: Es beginnt mit einer Filmrolle und endet in einer Schuhschachtel. Der durchschnittliche US-Konsument verbraucht heute sieben Filme pro Jahr - 1980 waren es erst vier. In Europa sind es heute vier, damals waren es drei. Weltweit werden pro Sekunde 2'500 Fotos gemacht, und der Foto-Weltmarkt hat insgesamt einen Wert von 80 Milliarden Dollar. Das jährliche Wachstum schwankt zwischen sieben und acht Prozent - mehr als bei den meisten anderen Produkten. Der heutige Foto-Weltmarkt ist ein reicher Markt voller Wunder: Niedrige Kosten, hohe Qualität und Emotionen. Keegan schlug vor, sich einmal die Leute anzusehen, wenn sie sich ihre Fotos vom Entwickeln holen. Also: Eine wunderbare Technologie, stabile Märkte, einfaches Kaufen und zufriedene Kunden. Warum etwas ändern?

«D»-Jahrhundert

In den letzten zehn Jahren hat der Ausdruck «digital» Wellen der Angst und Wellen der Begeisterung in der Foto-Industrie ausgelöst. Die Angst ist verständlich: Digitale Produkte tendieren dazu, alles besser, schneller und billiger zu machen. Im besten Fall verursachen sie die Entstehung von «Killer-Applikationen», die neue Märkte und neuen Reichtum generieren. «Killer-Applikation» gilt aber in zwei Richtungen: Als die Nachfrage nach CDs rasant anstieg, schien der Markt für die Vinylplatte geradezu über Nacht wegzuschmelzen. Und natürlich erschreckte die erste Digitalkamera auch die Fotoindustrie. Und die bange Frage lautete auch nicht, ob sich digitale Kameras durchsetzen, sondern wann sie den Film ersetzen werden. Heute sind Digitalkameras sowohl als elegante professionelle Geräte als auch als Konsumerprodukte erhältlich. Highend-Digitalkameras sind bei Katalogproduktionen, in eigenen Fotostudios und bei Magazinen bereits unverzichtbar geworden. Die Bilder, die sie liefern, rechtfertigen bereits die Preise. Und die Preise fallen laufend weiter.

Noch ist der Digitalmarkt ein kleiner Anteil. Man rechnet, daß er bis 2001 auf drei oder mehr Milliarden Dollar gewachsen sein wird. Daneben wird der traditionelle Fotomarkt schon auf 90 bis 100 Milliarden Dollar gewachsen sein. Also doch keine Gefahr für die Fotoindustrie?

Digitalisierung

Wirklich spannend wird laut Keegan in den nächsten Jahren die Digitalisierung - ein Ausdruck, der sowohl für die Verwandlung von «analogen» Bildern mittels eines Scanners in eine Menge von Bits als auch für alles andere steht, das dann mit einem Bild passieren kann.

Mit so einer Bitmenge kann man all das tun, was man mit anderen Bitmengen auch tun kann: Man kann sie in Echtzeit rund um den Globus schicken, man kann sie vervielfachen oder endlos modifizieren. Man kann mit digitalen Bildern seine E-Mails verschönern, einen Vortrag illustrieren oder eine geschäftliche Präsentation eindrucksvoller gestalten. Und die Kunden folgen dem Trend: Schon Ende 1998 haben die Kodak-Labs jede Woche mehr als 50'000 Foto-CDs gebrannt.

Keegan verweist darauf, dass mehr als ein Drittel der erwachsenen US-Bevölkerung das Internet verwendet. Daraus entsteht etwas, das er «picture in use» nennt. Statt dass die Bilder einmal betrachtet werden und anschliessend im Schuhkarton verschwinden, werden sie immer wieder verwendet. Schliesslich gewinnen Fotos mit zunehmendem Alter auch an emotionellem Wert. Man wünscht sich dann, man hätte damals mehr Fotos gemacht.

Die Vorstellung von der Zukunft, wie sie Keegan darstellt, sieht etwa folgendermassen aus: Jemand wirft drei Filmrollen von der Neujahrsparty am 1. Januar 2000 ein. Das Bestellformular bietet drei Möglichkeiten, die man ankreuzen kann:

Kästchen 1: Eine Picture Disk. Alles macht das Labor, und man bekommt eine Floppy mit den Bildern. Einfach und billig.

Kästchen 2: Bilder werden gescannt und durch ein Online-Service gespeichert. Einfach und billig und ausserdem extrem praktisch.

Kästchen 3: Die Bilder kommen zusammen mit einer Foto-CDs zurück. Die CD-ROM kann man einfach in den CD-Drive stecken, denn die CD-ROM enthält nicht nur Bilder, sondern auch die notwendige Software. Software, mit der man Bilder speichern, vergrössern und verteilen kann.

Damit wird E-Mail noch mehr wie ein normaler Brief, denn E-Mails mit angehängtem Bild haben für den Empfänger den gleichen Wert wie ein Bild in einem Kuvert. Aber mit diesen digitalen Bildern kann man etwas tun, was wir bisher nie konnten: Wir können das Bild behalten und es gleichzeitig verschenken. Damit wird sich die Zahl der Bilder, die tatsächlich verwendet werden, in naher Zukunft verdoppeln oder verdreifachen. Jeder will mehr Bilder, aber was man wirklich will, sind mehr tolle Bilder. Wenn so ein tolles Bild einmal digitalisiert ist, kann es auf Dutzenden Wegen reisen. Jeder, der es bekommt, kann es speichern oder löschen. Wer es speichert, kann es auch weitersenden. Wer schöne Bilder bekommt, der will sie auch ausdrucken - und damit kann die Industrie wieder wachsen.

Berichtet von Franz A. Köttl/fwk


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