Interview mit Orange-CEO Andreas S. Wetter

«Die International-Roaming-Tarife werden massive Reduktionen erfahren.»

Als Orange Communications Anfang Juni als dritter Schweizer Mobilfunk-Netzbetreiber verkündete, «Orange ist startklar und setzt am 29. Juni überall in der Schweiz ihr Mobiltelefonnetz in Betrieb», war die Glaubwürdigkeit dieser Aussage im ersten Moment doch recht zweifelhaft. Als dann aber der Schleier gelüftet wurde, der bis dahin über einer Vereinbarung mit Swisscom für nationales Roaming lag, war das Staunen über diesen Coup allseits gross. MOBILE TIMES (MT) bat nun nach gut zwei Monaten Erfahrung den Orange CEO Andreas S. Wetter um ein Interview.


MT: Bei Ihrer Medienorientierung von Ende Juni erwähnten Sie eine Marktentwicklung in der Schweiz von 1.6 Millionen Handys bis Ende 1998, was einer Penetration von 22.4% der Schweizer Bevölkerung entspricht. Für Ende 2008 sagten Sie rund 5 Millionen Handys voraus, was etwa 70% der Schweizer Bevölkerung entspricht. Sind das Schätzungen von Ihnen?

Wetter: Die von mir genannten Werte für das Jahr 2008 sind Schätzungen aufgrund von Erfahrungswerten der Branche. Sie hängen ganz klar von verschiedenen Kriterien wie Umweltaspekte oder Tarifsituation ab. Speziell stützen wir uns bei solchen Zahlen auf die Erfahrungen in Skandinavien, wo die Penetration der Mobiltelefonie heute bereits im 50-Prozent-Bereich liegt.

MT: Wird es in einzelnen Jahren dieser Periode - bedingt beispielsweise durch technische Entwicklungen - unter Umständen gewisse Schübe geben?

Wetter: Es gibt in der Tat solche Schübe, nämlich genau solche Phasen, wie wir sie jetzt erleben, wo neue Anbieter in den Markt drängen. Wir glauben, dass sich dieses Jahr - im Vergleich zu 1998 - die Anzahl der Teilnehmer massiv erhöhen wird. Die Steigerungsrate kann durchaus bis an eine Verdoppelung reichen.

MT: Lassen sich die Gründe für solche Schübe umschreiben?

Wetter: Ich sehe da drei Punkte, die solche Entwicklungen herbeiführen. Einerseits spielt das Preis-/Leistungs-Verhältnis eine wesentliche Rolle, also die immer wieder diskutierte Frage, was der Kunde pro Minute zahlt. Ein anderer Punkt ist ganz sicher die Motivation der Vertriebspartner, um das eine oder andere Produkt besonders auf dem Markt zu puschen - oder anders ausgedrückt: Es geht dabei um den Verdienst der Absatzkanäle. Schliesslich spielt die intensivierte Kommunikation um diesen Themenkreis eine ganz wesentliche Rolle. Die Werbeausgaben speziell der beiden neuen Anbieter sind dann auch in diesem Jahr besonders intensiv.

MT: Sie sprechen von Vertriebspartnern. Rechnen Sie auch die Handy-Hersteller dazu? Kommen von dieser Seite ebenfalls Marketingschübe?

Wetter: Hier muss ich etwas richtig stellen: Es ist eigentlich selten so, dass die Handy-Hersteller selbst irgendwelche Marketing-Aktivitäten - auf einen speziellen Kanal oder Operator orientiert - durchführen. Wenn die Promotion einer Marke stattfindet, geht dies primär von den Vertriebskanälen aus. Was uns Netzbetreibern ganz allgemein zugute kommt, ist die Entwicklung im Bereich der Handy-Ergonomie. Dazu gehören Gewicht, Batterie, Bedienungsfreundlichkeit usw. Damit werden Mobiltelefone immer mehr zu Commodity-Produkten.


«Bis Ende des Jahres werden wir bereits eine eigene 75%ige Abdeckung erreichen.»


MT: Sind diesbezüglich Anwendergruppen zu unterscheiden, welche die Verbreitung der Handys forcieren?

Wetter: O ja. Nehmen Sie zum Beispiel die Jugendlichen: Für diese Gruppe bekommen Dienste eine sehr grosse Bedeutung. Was heute noch «nur» SMS ist, wird später beispielsweise GPS und Datenübermittlung sein. Hier sind natürlich besonders die Hersteller gefragt. Sie müssen alle diese Möglichkeiten bedienerfreundlich in die Handys integrieren.

MT: Sie erwähnten am gleichen Anlass unter anderem, dass Sie neben dem Wachstum der drahtlosen Kommunikation im Sprachbereich besonders eine massive Steigerung im Austausch von Daten - speziell E-Commerce - bis hin zu Multimedia-Applikationen erwarten. Können Sie über das Gesagte hinaus noch andere Entwicklungen feststellen?

Wetter: Der Einsatz des Mobiltelefons wird in Zukunft verstärkt für den Datenaustausch eingesetzt werden. Die Anzahl Applikationen, die in irgendeiner Form internet-orientiert sind, erfahren eine zunehmende Bedeutung. Wir sehen aber den wirklich grossen Schub dann auf uns zukommen, wenn die neuen Standards im Bereich der Transfergeschwindigkeit - sei es auf dem GSM 1 Level, auf dem GSM 2 Level oder schliesslich in der dritten Phase mit UMTS in die Praxis umgesetzt werden. Wenn wir in der Lage sind, die Übermittlungsgeschwindigkeit auf ISDN-Level zu bringen, dann wird unsere Orange-Vision «The wireless future» und der Slogan «mobile only» erst umfassend - auch natürlich im professionellen Bereich - umgesetzt werden können. Also konkret: Wenn ich nicht mehr unterscheiden muss, welchen Inhalt - Sprache, Daten, Grafik bis zu Video - ich kommuniziere, erst dann spielt unsere Vision. Dabei denke ich zum Beispiel an die grossen Bereiche Telebanking und Abwicklung von Geldtransaktionen aller Art als lukrative Einsatzbereiche.

MT: Können Sie bereits gemäss Ihrem Slogan «mobile only» einen Zeitpunkt fixieren, an dem jegliche Kommunikation nicht mehr über Festnetze, sondern nur noch über Mobilfunknetze geschieht?

Wetter: Diesen Zustand wird es nie geben. Ein Auseinanderdriften beider Plattformen ist jedoch sicher . Dies hängt aber unter anderem von den Applikationen ab. Auch der Trend weiter abflachender Tarife wird dahin führen, dass das geringere Wachstum bei Festanschlüssen und die boomende Entwicklung bei Mobilanschlüssen im Jahre 2003 weltweit das gleiche Niveau erreicht haben werden. Natürlich kann man davon ausgehen, dass insbesondere telekommunikationsmässig unterentwickelte Gebiete auf der Erde nur noch mit Mobilfunknetzen erschlossen werden. In unserer westlichen Welt wird das etwas anders aussehen, weil die Installationen im Festnetzbereich bereits existieren. Man kann sich dort im Bereich der Tarife relativ viel einfallen lassen, weil die gesamte Amortisation dieser Technik schon geleistet wurde.

MT: Gilt diese Feststellung nur für Sprachkommunikation oder für alle Arten moderner Kommunikation?

Wetter: In der voice-orientierten Kommunikation werden wir eine sehr hohe Ablösungsrate der Festanschlüsse erleben. Dies entspricht auch einer unserer Philosophien, dass die Kommunikation dem Menschen folgen soll und nicht umgekehrt. Diese Entwicklung wird auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll sein. Es geht dabei aber nicht nur um eine Ablösung der Festanschlüsse, sondern auch um eine solche der Schnurlostelefone.

MT: Sie sprachen von abflachenden Tarifen. Können Sie zu diesem Thema noch mehr sagen?

Wetter: Obwohl man bezüglich lokaler Minuten-Tarife gerne Langzeitprognosen anführt, muss man sehen, dass heute bereits Angebote im Markt zu finden sind, wo man mobil zum «local tarif» telefonieren kann. Das heisst nichts anderes, als dass Mobilteilnehmer im gleichen Wohnbereich zu den gleichen Tarifen telefonieren können wie im Festnetz. Schauen Sie zu unserem nördlichen Nachbarn. Dort gibt es bereits gewisse Wohngebiete mit Minuten-Tarifen im 10-Pfennig-Bereich. In der Schweiz gibt es die Möglichkeit, für 8 Rappen im Festnetz zu telefonieren. Der Mobiltarif ist aber mit durchschnittlich 50 Rappen dagegen noch relativ hoch.

MT: Sehen Sie schon den Zeitpunkt, wo man von diesem 5:1-Verhältnis herunterkommt?


«Besonders stolz bin ich auf den enormen Arbeitswillen und -einsatz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum erfolgreichen Aufbau.»


Wetter: Bestimmt werden wir irgendwann einmal - in den nächsten fünf bis acht Jahren - diesen Punkt erreicht haben.

MT: Und wie wird die Entwicklung international aussehen?

Wetter: Ich bin davon überzeugt, dass die International-Roaming-Tarife durch firmenmässige Gruppierungen oder Umgruppierungen massiv reduziert werden. Denn es wird Firmengruppen geben, welche die Fähigkeit haben, in einigen Ländern anzubieten. Diese werden versuchen, sich die Kunden in solchen Ländern zu sichern, indem sie höchst interessante Angebote in den von der Gruppe abgedeckten Gebieten unterbreiten.

MT: Sie drückten Ihre Überzeugung aus, dass man die Wahl drahtloser Kommunikation so einfach wie möglich gestalten sollte. Was tut Orange neben einem einheitlichen Preis für alle Gespräche - unabhängig von der Tageszeit - zur Entwicklung innovativer Dienstleistungen?

Wetter: Es ist weder die Aufgabe der Handy-Hersteller noch die der Netzbetreiber, Applikationen - also Inhalte - zu entwickeln und zu vertreiben. Ich sehe vielmehr spezialisierte Firmen und Dienstleistungsanbieter wie Banken, Versandhäuser oder sogar Behörden, die solche Applikationen anbieten , um sie dann im eigenen Interesse ihren Kunden offerieren zu können. Orange hat allerdings den Vorteil, dass wir durch die Aktionäre Viag und Orange UK auch in diesem Marktsegment sehr stark sind.

MT: Wie lange gilt die besonders von der Konkurrenz mit Erstaunen zur Kenntnis genommene Vereinbarung mit Swisscom für nationales Roaming, wodurch Orange auf einen Schlag eine 90%ige Abdeckung der Schweizer Bevölkerung nennen konnte?

Wetter: Orange hat eine Lizenzverpflichtung gegenüber dem Regulator , die besagt, dass wir bis am Jahresende 2001 eine eigene 95%ige Abdeckung erreichen müssen. Das National Roaming dauert also so lange, bis unser eigenes Netz vollumfänglich steht.

MT: Die Mobilfunk-Antennen waren in den vergangenen Monaten ein viel diskutiertes Thema. Gibt es dazu im Moment Ihrerseits etwas zu sagen?

Wetter: Wir nehmen das Thema sehr ernst und bemühen uns, die Antennenfrage auf einer äusserst sachlichen Informationsbasis zu behandeln - sei es in Richtung Gesundheit oder auch in Richtung Umweltschutz. Wir haben zu diesem Zweck eine eigene Arbeitsgruppe «Umwelt» geschaffen, die Aufklärungsarbeit betreibt - zum Beispiel bei Gemeindeversammlungen verfügbar ist usw. Wir würden uns in diesem Zusammenhang wünschen, dass sowohl national als auch international noch mehr wissenschaftliche Forschung hinsichtlich der Unbedenklichkeit von Mobilfunkantennen an die Hand genommen würde.

MT: Sie sprachen davon, dass Orange vom Start weg bereits weit über 100 internationale Roaming-Abkommen aufweisen kann. Handelt es sich dabei um eigene Verträge?

Wetter: Selbstverständlich sind das ausschliesslich eigene Vereinbarungen. Es sind im übrigen wesentlich über 100 unterschriebene Verträge. Operativ sind es heute genau 59 Netzbetreiber in 40 Ländern, wo wir unseren Kunden volle Netzabdeckung bieten. Wir erachten es insbesondere für die Geschäftskunden als hohe Priorität, ihnen nicht nur die geografische Abdeckung zu bieten, sondern nach Möglichkeit auch noch die Wahl zu lassen, mit welchem Operator innerhalb eines Landes sie zusammenarbeiten wollen.


«Gleichzeitig mit dem Start haben wir zusammen mit der Rega den <Handy Hero> für rettende Notrufe mit dem Handy lanciert.»


MT: Orange verfügt in verschiedenen Ländern Europas und Asiens über eigene Mobilfunknetze. Können Schweizer Kunden damit rechnen, dass sie auf den anderen Orange-Netzen in naher Zukunft etwelche Spezialkonditionen erhalten?

Wetter: Wir arbeiten an solchen Angeboten, die sich in günstigen Tarifen oder bestimmten Diensten niederschlagen können. Dabei wollen wir aber nicht nur das weltweite Orange-Netz berücksichtigen, sondern auch diejenigen unseres Aktionärs Viag mit seinen Netzen in Deutschland und Österreich.

MT: Im Namen unserer Leserinnen und Leser bedanke ich mich herzlich für das offene Gespräch.


Das Interview führte MOBILE TIMES Chefredaktor Friedrich W. Klappert
Die Fotos stammen von Jean-Jacques Ruchti


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