Substitution oder Konvergenz in der Telekommunikation?

Konvergierende Netze

Eine Abhandlung aus der Sicht des Massenmarktes von Dipl.-Ing. Josef Forer, Leiter der Business Unit Communication Devices bei der Firma Siemens AG Österreich, die nach unserer Überzeugung auch für die Schweizer Leserschaft von grossem Interesse sein dürfte.


Karl sitzt genüsslich im Garten und geniesst die ersten warmen Sonnenstrahlen des eben erst angebrochenen Frühlings, da läutet das Telefon: Er hebt am schnurlosen Mobilteil ab, obwohl er es schon geahnt hat: Es ist für seine Gattin.

Dank moderner DECT-Technologie kein Problem: Er verbindet intern zum 2. Mobilteil ins Wohnzimmer und übergibt - nach einem kurzen und mürrischen ... «Schon wieder Deine Mutter...».

Karl ist ein bisschen eingenickt, da fährt er plötzlich hoch: War das nicht schon wieder ein Telefon-Rufsignal? Jawohl, aus der Ferne klingt unverkennbar die Melodie seines neuen Handys. Er sprintet ins Haus, durchwühlt sein Sakko, kramt in seiner Aktentasche. Und findet das C25 schliesslich in der Küche unter einer Zeitung.

Am anderen Ende meldet sich sein Squash-Partner und meint: «Duuu wolltest doch, dass ich dich nur mehr am Handy anrufe, und jetzt lässt Du es da auch schon ewig läuten ...?»

Vermutlich ist es vielen schon so wie Karl ergangen, denn immer mehr Österreicher haben zu Hause neben einem Festnetzanschluss auch noch zusätzlich ein Handy, oder vielleicht schon zwei - und täglich werden es mehr.

Da wird die Frage immer virulenter: Wachsen die Dinger eigentlich zusammen (Konvergenz), oder ersetzt eher die eine Technologie die andere (Substitution)?

Die Antwort darauf ist aus meiner Sicht sehr einfach: beides.

Die Frage, nach dem wann und wie hängt allerdings stark davon ab, welche Bedürfnisse die breite Masse wirklich hat bzw. was wann und zu welchem Preis angeboten wird.

Die Bedürfnisse der meisten Menschen sind in diesem Zusammenhang in der Regel recht einfach zu beschreiben: Sie möchten es möglichst bequem haben.

Und nachdem vor allem die jüngere Generation mit Begeisterung die unendlich vielfältigen Möglichkeiten von Internet, Computergames, digitaler Fotografie, schnurloser und cellularer Telefonie mit immer schickeren und billigeren Geräten zu schätzen weiss, ist der Weg eigentlich vorgezeichnet: Komfort und Spass um wenig Geld.

Für die nicht mehr ganz so jung Gebliebenen ist neben dem Komfort die einfache Bedienung und vielleicht der moderate und damit leichter verkraftbare Übergang von alter zu neuer Technik von Vorteil: Wer beginnt schon gerne immer wieder ganz von vorne?

In diesem Zusammenhang heisst das, Geübtes oder bereits zu schätzen Gelerntes verfeinern und in die Informations- und Kommunikationswelt übertragen: Immer kleinere, leichtere, leistungsfähigere und preiswertere Geräte sind gefragt.

Ich komme zurück auf die Frage: Wie ergänzt oder substituiert der Mobilfunk die Festnetze, und welche Lösungen in Form von Produkten hat der kommunikationsbedürftige User zur Auswahl? Dazu eine kleine Übersicht:

Für die Festnetze (Zugang über Swisscom, sunrise, diAx ...):

POT

Plain old Telephone. Auch mit Wahlscheiben gibt es sie noch; die meisten sind jedoch bereits als Tastentelefone ausgeführt, zunehmend mit schneller Tonwahl und vielleicht zusätzlich noch Zieltasten, Freisprechen oder Anrufbeantworter. Aber alles hängt fest am Festnetz: Telefonieren kann man, mehr will man nicht.

Cordless

Schnurlose Telefone sind in Österreich seit 1984 erhältlich, heute hat jeder dritte Haushalt so ein Ding, das zwar am Festnetz hängt, aber bis zu 300 m Telefonfreiheit rund um Haus und Wohnung ermöglicht. DECT-Technik bietet hier seit knapp sieben Jahren weiteren Komfort wie kostenfreie Interngespräche, glasklare Sprachqualität und bis zu einer Woche Empfangsbereitschaft mit 2 Standard-AA-Akkuzellen.

ISDN

Integrated Services of Digital Networks, zunächst ein Business-Ansatz der Sprach-/Datenintegration für mehr Übertragungsbandbreite über die vorhandenen zweiadrigen Telefonleitungen, mittlerweile auch in Österreich im Vormarsch in die privaten Haushalte: Ohne weitere Leitungen zu vergraben, kann man gleichzeitig zwei Amtsleitungen nutzen, besonders geeignet für Datenübertragungen parallel zu Telefongesprächen, und das mit 64 Kbit/s. Auch für diese Technik gibt es normale drahtgebundene Telefone, aber auch Schnurlossysteme und PC-Karten.

PC

Personal Computer, mittlerweile auch schon in mehr als 10% der österreichischen Haushalte, schon längst nicht mehr nur Arbeitsmittel, sondern zunehmend auch Spiel- und Kommunikationskonsole mit Anschluss ans Festnetz - in der Regel mittels Modem oder ISDN-Karte.

Für die Mobilfunknetze (derzeit Swisscom Natel, diAx und bald Orange)

Handy

Kennt mittlerweile jeder, man braucht derzeit nur die aktuelle Werbung ansehen oder MOBILE TIMES lesen: Mobil ist chick, bequem und schon recht günstig. GSM hat sich als europäischer Mobilfunk-Standard in über 70 Ländern der Welt durchgesetzt, zunächst auf 900 MHz, dann auf 1800, und schon jetzt wird die Nachfolgetechnologie «Universal Mobile Telecommunication System» (UMTS) entwickelt, um in noch mehr Ländern noch mehr Gespräche und zunehmend auch mehr Daten in Form von Internet oder E-Mail zu ermöglichen. Moderne Handys sind sogenannte Dualband-Geräte, die sowohl 900 oder 1800 MHz als auch beide Frequenzgruppen gleichzeitig bedienen können.

Mobile Communicator

Neben dem Anschluss von PC-, PDA und Notebook ans Handy über Kabel oder Infrarot und damit an ein Mobilfunknetz sowie GSM-PC-Karten gibt es auch schon erste integrierte Lösungen, wo entweder in den PDA das Handy (bei Siemens im sogenannten «PIC», dem Personal Intelligent Communicator) oder in das Handy zum Beispiel das Modem und der Internet-Browser (bei Siemens im S25) eingebaut wird.

CLL

Cellular Local Loop, ein erster neuer Ansatz für die letzte Meile vom Vermittlungsamt ins Wohnzimmer oder ins Büro über Funk anstelle der üblichen Kupferleitungen: Statt in ein Handy wird hier die SIM-Karte in ein Standgerät eingelegt, das dann einen Festnetzanschluss ersetzt (substituiert). In Ländern mit schlecht ausgebauten Festnetz-Infrastrukturen eine elegante Möglichkeit, sehr rasch flächendeckende Telefonie anzubieten, ohne Strassen aufgraben oder Wohnungen aufstemmen zu müssen. In etablierteren Ländern wie Österreich eher nur zusätzlich zum Festnetzanschluss interessant, etwa um billige Gespräche innerhalb eines GSM-Netzes führen zu können (verfügbare Stand-alone-Geräte wären beispielsweise das Siemens euroset GSM oder das optiset GSM und als Gateway für vorhandene Geräte das Siemens Combiset GSM).

Für beide Netze (Festnetz und Mobilfunk)

Dualmode Handy

Dieses Gerät ist zum einen ein GSM-Handy und zum anderen ein DECT-Schnurlos-Mobilteil: Ist man zu Hause oder im Büro in der Nähe seiner DECT-Basisstation, werden die Gespräche darüber geführt, verlässt man diesen 300-m-Radius, wird auf GSM umgeschaltet.

Für gewisse Business-Anwendungen (zum Beispiel hinter einer PABX) oder Single-Haushalte sicher interessant, aber bei der dynamischen Entwicklung der Handys (bei Siemens zum Beispiel gibt's in Zukunft alle drei Monate ein neues Modell) und der parallel dazu stattfindenden Verfeinerung der Schnurlostelefone in Richtung mehr Komfort und elegantere Mobilteile muss bezweifelt werden, ob die Integration beider für einen Nischenmarkt nicht der sicherlich ebenfalls angestrebten Kleinheit und Peppigkeit ständig hinten nachhinkt ...

Aber vielleicht ist einfach die üblicherweise klare Trennung zwischen Büro (Firmeneigentum) und Zuhause (Privateigentum) bei der Mehrheit der Bevölkerung der Grund für die gedämpfte Euphorie bei diesem Ansatz, der zwar technisch naheliegend (DECT-Mobilteile und GSM-Handys haben vieles gemeinsam), aber nicht wirklich ein Lösungsansatz für die breite Masse zu sein scheint.

Home Base Station

Eine Art Mini-Basisstation zu Hause, die direkt ans Festnetz angeschlossen ist, empfängt die Handy-Signale in der unmittelbaren Umgebung, bzw. abgehende Gespräche vom Handy werden innerhalb dieser Pikozelle direkt ins Festnetz abgeführt: Ein an sich sehr innovativer Ansatz, um mit dem eigenen Handy ohne Wechsel des Geräts daheim übers Festnetz und unterwegs über Mobilfunk zu kommunizieren.

Aber eine GSM-Basisstation für jeden Haushalt ist nicht ganz billig, bisherige Handys können dafür nicht verwendet werden, ausserdem muss bei diesem Ansatz ein Sprachkanal für die Signalisierung geopfert werden, und das bei immer heftiger umkämpften Frequenzen gerade in Ballungszentren ...

IN / Home Zone

Intelligent Network. Intelligenz in der Fest- und/oder Mobilfunknetz-Infrastruktur bewerkstelligt die Verknüpfung beider Netze. «Virtual Private Network» (VPN), automatische Anrufumleitung in das jeweils andere Netz oder ganz einfach spezielle Tarifierung (zum Beispiel bei der Homezone der deutschen VIAG , wo Gespräche innerhalb der Heimatzelle als Ortsgespräche besonders günstig vergebührt werden) ermöglichen hier ohne spezielle Zusatzgeräte die Nutzung von Fest- und/oder Mobilfunknetz-Features.

Allerdings ist dieser Ansatz schwer zu vermarkten, da man bekanntlich virtuelle Dinge nicht so leicht als Geschenk verpacken oder verständlich inserieren kann ...

Gigaset GSM

Das haben Sie wahrscheinlich noch nicht gehört, ausser Sie waren auf der CeBIT 99 am Siemens-Stand: Eine Schnurlos-Basisstation mit gleichzeitiger Anschlussmöglichkeit ans Festnetz und an GSM (Bild 1), dazu noch ein integrierter Router, der jede am Mobilteil oder den sonst noch angeschlossenen Telefonen gewählte Telefonnummer bewertet und je nach Voreinstellung über GSM oder das Festnetz routet, auf Wunsch sogar automatisch zu einem Verbindungsnetzbetreiber durch automatische Vorwahl von «10xx».

Ich bin der festen Überzeugung, dass die vielen Vorteile des Festnetzes (Sicherheit, Breitbandigkeit, Kosten der Infrastruktur zum Teil schon abgeschrieben ... - gepaart mit einer gewissen Trägheit vieler Zeitgenossen beim Abmelden gewohnter und teilweise liebgewonnener Einrichtungen) parallel zu den fantastischen Zusatznutzen der grenzüberschreitenden, ja zwischenzeitlich globalen Mobilfunktechnik und der eben erst begonnenen Internet-Revolution, die über beide Netze voll abgeht, automatisch dazu führen, dass der durchschnittliche Haushalt von morgen beide Zugänge - den übers Festnetz und den Mobilfunk - parallel nutzen wird.

Dafür sind integrierte Geräte wie ein Gigaset GSM von Vorteil, bei dem man über eine bewährte Benützeroberfläche im Privatbereich (in diesem Falle über ein Gigaset 2000S) den vielfach schon geschätzten Schnurloskomfort dann auch für Mobilfunkgespräche nutzen kann. Wenn man darauf noch ein attraktives Gebührenmodell abbildet, könnte das eine komfortable und preiswerte Lösung für die zum angreifbaren Produkt gewordene Konvergenz werden.

Zumindest hat dann der eingangs erwähnte Karl zu Hause nur mehr einen Schnurlos-Mobilteil neben seiner Sonnenliege, bei dem alle Gespräche - auch die fürs Handy bestimmten - landen. Und sollte dennoch ein anderes Familienmitglied gefragt sein, kann er rasch intern verbinden und sich weiter sonnen ...

... bis unter Umständen seine Frau durch Anklopfen ein GSM-Gespräch für den Gatten signalisiert bekommt und per Knopfdruck makelnd wieder zu Karl zurückverbindet ...

Josef Forer


Lebenslauf Dipl.-Ing. Josef Forer

1956geboren in Mühlwald/Südtirol, Klass. Gymnasium/Lyzeum in Brixen und Bruneck
1975Matura in Bruneck
1975-1982Studium an der TU Wien (Elektrotechnik mit Studienzweig Nachrichtentechnik)
1982Eintritt in die Siemens AG Österreich (SAGÖ) als Entwicklungsingenieur (Aufbau einer Hochfrequenz-Entwicklungsgruppe, unter anderem Projektleiter für die Entwicklung der ersten CT1 und DECT-Schnurlostelefone)
1987Verleihung des Titels «Dottore in ingegneria elettrotecnica» (Dr. techn.) an der Universität von Bologna
1987Heirat mit Dr. med. Gislinde
1988Geburt des Sohnes Florian
1989Wechsel von der Entwicklung in das Produktmanagement der SAGÖ
1991Leitung des Vertriebsbereichs Fernsprechendgeräte der SAGÖ
1995Leitung des indirekten Vertriebs für den Bereich Private Kommunkationssysteme und Netze der SAGÖ für Österreich und Slowakei, Slowenien, Kroatien, ab 1996 auch Bosnien Herzegowina
1.10.1998Leitung des neugegründeten Geschäftsfeldes «Communication Devices» mit einem vss. Umsatz von > 1 Mrd. ATS im Geschäftsjahr 1998/99
1998Auszeichnung zum «Erfinder des Jahres 1998» der Siemens AG weltweit (Inhaber mehrerer Patente und regelmässig weitere Anmeldungen, 1998 unter anderem das auf der CeBIT 99 erstmals gezeigte Konvergenzprodukt «Gigaset GSM»)
Wohnhaft:Im Winter in Wien 6, im Sommer beim Wienerwaldsee in Pressbaum
Hobbies:Holzbearbeitung, Fotografie, Squash, Rodeln, Skifahren, Radfahren


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