GSM-Praxis

Zentral-Europa

Mit Ausnahme von Österreich sind die Staaten, die wir vor zehn Jahren noch Ost-Europa nannten, jetzt aber wieder als Zentral-Europa bezeichnen, ein europäischer GSM-Sonderfall, weil man in diesen Ländern nach der jahrzehntelangen Vernachlässigung des Festnetzes nur mit Mobilnetzen den rasant steigenden Kommunikationsbedarf einer freier gewordenen Wirtschaft decken konnte.


Der geographische Raum, mit dem wir uns hier beschäftigen, reicht von der Ostsee im Norden bis zur Adria im Süden und im Osten vom Dnjepr bis zu Erzgebirge und Böhmerwald im Westen. Moldawien, Österreich, Polen, Russland, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, die Ukraine, Ungarn und Weissrussland teilen sich das Gebiet auf. Die Basis für diesen Bericht bildet der Ist-Zustand Anfang März 1999. Auf die am Rand liegenden und auf unserer Karte noch sichtbaren Balkanländer Kroatien, Serbien und Rumänien werden wir in einer späteren Folge eingehen, ebenso auf Litauen, das in der übernächsten Folge zusammen mit den anderen baltischen und den skandinavischen Staaten besprochen werden soll.

Situation

Im besprochenen Raum (mit Ausnahme von Österreich) ist das Mobiltelefon nicht unbedingt als Zweitgerät, sondern sehr häufig als einziges Telefon im Einsatz. Das erklärt sich aus der auch nach zehn Jahren Liberalisierung und heftigen Investionen noch immer sehr geringen Telefondichte in diesen Ländern. Während etwa in der Schweiz auf 100 Einwohner 66 Telefonleitungen kommen, sind es in Weissrussland 10, in Moldawien 14, in Polen 20, in der Slowakei 26 und in der Ukraine 20. Lediglich Slowenien mit 37, Tschechien mit 34 und Ungarn mit 33 Anschlüssen pro 100 Einwohner sind irgendwo in der Nähe eines westeuropäischen Standards gekommen, wenngleich auch dort noch einiges fehlt. In Österreich gibt es übrigens 49 Telefonanschlüsse je 100 Einwohner und in Deutschland 56.

Der Mangel an Festnetztelefonen hat dort, wo der Mobilfunk rasch ausgebaut worden ist, zu einer Substitution geführt, weil in einer freien Wirtschaft kaum ohne Telekommunikation agiert werden kann. Das zeigen auch die Penetrationsraten: Tschechien hat fast eine Million mobile Telefonierer, die Slowakei an die 550.000 und Polen gar über zwei Millionen. Nur dort, wo es kaum ein Netz gibt, wie etwa in der Ukraine, wo auch die grössten Netze nur einige wenige Städte abdecken, gibt es auch wenige Teilnehmer: kaum 50.000 in allen vier GSM-Netzen und weniger als 100.000 in analogen Systemen.

Der Grund dürfte einleuchtend sein: Ähnlich wie in Russland, wo viele Betreiber ihr Netz nur in den grossen Städten auslegen, wo es viel Geld zu verdienen gibt, scheinen auch die ukrainischen Betreiber zu denken. Und die wenigen Kunden liefern auch ihr Geld ab. Die grosse Masse der Bürger hat aber weder Zugang zu einem Fest- noch zu einem Mobiltelefon. Die Entwicklung der Wirtschaft zeigt dann die gravierenden Nachteile einer solchen Politik.

Belarus: Lizenz ohne Netz

Eine Tochter der staatlichen Telecom betreibt ein NMT-450-Netz, das kaum 10.000 Kunden hat. Sonst ist nicht viel zu vermelden, ausser dass vor einiger Zeit eine GSM-Lizenz an ein Konsortium (Mobile Digital Communication, bestehend aus dem staatlichen Betreiber Beltelecom und einigen anderen weissrussischen Firmen) vergeben wurde. Netz ist noch keines in Betrieb, dafür wurde bereits festgelegt, dass ein potentieller Konkurrent erst drei Jahre nach dem Netzstart der MDC eine Lizenz erwarten kann. Bis auf weiteres also ein GSM-loses Gebiet auf der Landkarte.

Moldawien

Die Situation in Moldawien ist ähnlich, aber nicht wirklich vergleichbar: Eine Gruppe unter der Führung von France Telecom, der neben moldawischen Partnern auch die rumänische MobilRom angehört, hat seit Mai 1997 eine Lizenz für ein GSM-Netz. Das Voxtel genannte Netz sollte bereits seit Oktober 1998 im Betrieb sein - bisher haben wir aber noch keine Meldung über ein tatsächliches Funktionieren des Netzes erhalten. Natürlich gibt es in Moldawien auch ein analoges Netz. Daneben existieren noch eine Reihe von Mobilfunkplänen nach unterschiedlichen Standards. Am bekanntesten ist vielleicht der Plan von Millicom, ein D-AMPS- bzw. TDMA-Netz zu errichten.

(Anmerkung: Das Voxtel-Netz ist nach Fertigstellung dieses Beitrages doch noch in Betrieb gegangen.und steht roamenden Natel-Kunden ab sofort zur Verfügung!)

Österreich: Alpen-Schweden

Die Situation in Österreich darf als bekannt vorausgesetzt werden. Das Land ist hier vor allem deshalb vertreten, weil es irgendwie - wenigstens mit seinem östlichen Teil - zum geographischen Gebiet Zentral-Europa dazugehört. In der gar nicht all zu weit zurückliegenden Vergangenheit wäre diese Erklärung nicht erforderlich gewesen, denn damals war Österreich(-Ungarn) Zentral-Europa.

Nur in Kürze: Österreich ist einer der am schnellsten wachsenden Mobilfunkmärkte überhaupt: Zwar noch nicht ganz so grosse Zahlen wie in Schweden, aber wahrscheinlich in kurzer Zeit. Die grosse Zahl der Teilnehmer ist auch die Ursache für gelegentliche Verbindungsprobleme, denn die Netze sind in den bewohnten Gebieten gut bis sehr gut ausgebaut. Derzeit teilen sich drei Netzbetreiber den Markt.

Einer davon - die Mobilkom (die ehemalige PTT) mit dem A1-Netz - hat ein 900-MHz-Netz im gesamten Bundesgebiet und regional im Raum Wien noch zusätzliche 1800er Frequenzen.

Der zweite Betreiber - max.mobil. - betreibt derzeit (noch) ein reines 900-MHz-Netz und der dritte Betreiber Connect mit seinem ONE genannten Netz setzt ausschliesslich auf den Frequenzbereich 1800 MHz.

Die grossen leeren Flächen in unserer Coverage-Karte zeigen recht gut, wo sich die kaum bewohnten Alpen mit ihren unzugänglichen Bergen erstrecken - eine Situation, die ja auch aus der Schweiz bekannt ist.

Der besiedelte Teil des Landes ist hingegen, mit wenigen Ausnahmen, sehr gut versorgt - was man vor allem dann erstaunt feststellt, wenn man die österreichische Grenze in das doch eher flachere Deutschland passiert.

Polen

Polens drei Netze zeigen ein rasantes Wachstum. Der Ehrgeiz der polnischen Betreiber scheint in der Errichtung eines flächendeckenden Netzes zu liegen. Ein Ziel, dem man sich immer mehr annähert, ohne es aber bereits erreicht zu haben. Am besten sieht es bisher mit dem Netz von EraGSM aus, während der 1800er Betreiber Centertel erst in wenigen Städten und entlang eines einzigen Autobahnteilstückes präsent ist.

Grundsätzlich darf der roamende Reisende noch nicht überall Coverage erwarten. Gelegentlich gibt es sogar Autobahnteilstücke, auf denen es keinen Empfang gibt. Generell aber scheint Polen auf einem sehr guten Weg zur Vollversorgung zu sein.

Die rasche Entwicklung wird auch 1999 weitergehen und in der Ausschreibung von drei weiteren Lizenzen (zwei 1800er und eine 900er) gipfeln.

Russland

Russland ist hier natürlich nur mit dem Bezirk Kaliningrad (dem Nordteil des ehemaligen Ostpreussen mit der Hauptstadt Königsberg) vertreten, denn die komplizierte Struktur der russischen Netzbetreiber ist eine eigene ausführliche Betrachtung wert, die in einem späteren Heft folgen wird.

Ursprünglich wurde des Netz von Extel durch die deutsche Telekom gestartet. Inzwischen aber ist die Eigentümerschaft nach Skandinavien (an Telenor) gewandert, wo man offensichtlich mehr Interesse am Baltikum hat; was auch daran liegt, dass die meisten grossen skandinavischen Betreiber im Staatsbesitz sind und sich daher mit Erwerbungen fernab der Heimat auch innenpolitisch etwas schwer tun.

Da mit Extel kein Roamingabkommen besteht, erübrigt sich hier eine ausführliche Beschreibung des Netzes, das im wesentlichen auf die Umgebung des ehemaligen Königsberg beschränkt ist.

Slowakei

Die Slowakei hat einen der am schnellsten wachsenden Mobilfunkmärkte im beobachteten Gebiet. Die Coverage der beiden 900-MHz-Netze EuroTel Bratislava und GlobTel ist für ein gebirgiges Land geradezu bemerkenswert, obwohl es natürlich topografisch bedingt noch eine ganze Menge von Funklöchern gibt.

Die wenigen Autobahnstrecken sind voll abgedeckt, und auch in den grösseren Städten gibt es - soweit bekannt - nirgendwo Probleme.

Slowenien

Das slowenische Netz der Mobtel ist inzwischen relativ gut ausgebaut und bietet eine recht ordentliche Flächendeckung. Die Autobahnen und die wichtigsten Landstrassen sind jedenfalls aufgrund unserer Erfahrungen voll abgedeckt. Einziger Wermutstropfen: Es gibt nach wie vor nur einen Betreiber und wenn der einmal nicht funkt, geht gar nichts mehr.

Tschechien

Wie in der benachbarten Slowakei erkennt man auf der Deckungskarte sehr gut, wo, bedingt durch schwieriges Gelände die Coverage durch die beiden Netzbetreiber EuroTel Praha und Paegas noch nicht voll gegeben ist. Dennoch: Viele westliche Netzbetreiber können sich technisch von den tschechischen Netzen etwas abschauen: Die Sendemasten stehen meist an exponierten Stellen, und auch die Sendeleistung scheint mehr als kräftig zu sein. Autobahnen und Grossstädte sind sehr gut abgedeckt.

Ukraine: Vier Netze und keine Coverage

Die Ukraine hat zwar in der Zwischenzeit vier Netzbetreiber, aber kein wirkliches Netz, wie ein Blick auf die Landkarte sofort zeigt: Die Coverage von Kyvistar beschränkt sich im Prinzip auf Kyyiv (Kiew) samt Umgebung sowie auf das westukrainische Zentrum L'viv (Lemberg. Lvov), die grosse Hafenstadt Odesa (Odessa) und das Industriezentrum Dnipropetrowsk. Bancomsvyaz ist nur in Kyyiv aktiv, und von UMC und URS gibt sicherheitshalber gleich gar keine Coveragekarten. Der Ausbau der Netze scheint eher gebremst zu erfolgen.

Ungarn

Die ungarischen Betreiber haben mit dem flachen Land zugegebenermassen relativ leichtes Spiel: Keine Berge verhindern die Ausbreitung der Funkwellen.

Wohl auch deshalb wurden die beiden Netze relativ schnell flächendeckend ausgebaut. Lediglich dort, wo aus der ebenen Puszta Wellen aufsteigen und sich in Extremfällen zu einem Hügelland auftürmen - auch das gibt es in Ungarn! -, wird die Deckung schwach bis ganz schlecht.

Natürlich sind auch die Randgebirge wie die Karpaten im Osten ein Problem, aber dort, wo man als Fremdling gemeiniglich hinkommt, gibt es praktisch keine Probleme, einen Funkkanal zu erwischen.

Nur Budapest hat manchmal das Problem aller Grossstädte: Zu viele Menschen wollen gleichzeitig telefonieren und belegen alle verfügbaren Funkkanäle. Aber auch dieses Problem tritt sehr selten auf.

Resumée

Von den Ländern Zentraleuropas, die bereits ein oder mehrere GSM-Netze haben, ist nur die Ukraine wirklich schlecht versorgt. In den anderen Ländern kann man durchaus von einer vergleichbaren Coverage mit Westeuropa sprechen, wenn es gelegentlich auch da und dort noch grössere Funklöcher gibt. Die Zahl der abgeschlossenen Roamingabkommen gibt den Kunden der österreichischen Netzbetreiber fast überall die Möglichkeit, mobil zu telefonieren.

Der Markt ist noch riesig, obwohl in diesem Gebiet bereits an die sieben Millionen Menschen über GSM telefonieren - von denen allerdings mehr als zwei Millionen in Österreich leben.

Franz A. Köttl


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