Viren - einmal anders

Computerviren sind der Alptraum jedes Computeranwenders, und einige Firmen verdienen Millionen damit - manche böse Zungen sagen sogar, diese Firmen würden die Viren selbst schreiben. Doch nun gibt es Anwendungen, die sich das Prinzip der selbständigen Programme zunutze machen: Die «Mobilen Agenten».

Wenn man einen Virus betrachtet, kennzeichnen ihn vor allem seine Selbständigkeit, mit der er ohne Benützereingaben handelt, und seine enorme Mobilität - teilweise sogar über Plattformgrenzen hinweg - und schliesslich eine gewisse Intelligenz, mit der er auf äussere Einflüsse reagiert. Was den Viren fehlt, ist die Kooperativität: Sie sind selbstsüchtige Gesellen, deren einzige Ziele die Vermehrung und die Bewirkung von Schaden sind. Das ist der Punkt, in dem sich Agenten von Viren unterscheiden. Ihr Ziel ist Kooperation, nämlich die Ausführung eines Anwenderbefehls.

Mobilität

Die praktischen Anwendungen sind einfach erklärt: Selbständigkeit bedeutet, dass der Anwender bei einer Anfrage an das Netzwerk nicht länger warten muss, bis sein Resultat zurückkommt, sondern seinen Agenten losschickt und dann etwas anderes machen kann. Das senkt natürlich auch die Belastung des Netzwerks, da der Anwender nicht an einer offenen Leitung steht, sondern die Leitung aufmacht, seinen Agenten losschickt und die Leitung dann wieder freigeben kann. Für den mobilen Anwender bedeutet das, dass er sich unterwegs in sein Firmennetzwerk einwählt, seinen Agenten mit einer Abfrage losschickt und dann die Verbindung wieder lösen kann. Bedenkt man die Kosten einer Telefon- oder GSM-Leitung, die über längere Zeit offen wäre, so ist klar, welche Ersparung das bedeutet.

Eine schon im Handel befindliche Anwendung dieses Prinzips sind die «Mobile Agents» von Oracle, die als Mittelglied zwischen mobilem Anwender und Netzwerk fungieren. Die Agenten können entweder im Netzwerk verbleiben und den Aussendienstmitarbeiter über bestimmte Änderungen wie Lagerbestände oder aktualisierte Kundeninformationen informieren, oder aber als Bindeglied fungieren und so die Datenübermittlung sicherer machen. Wenn einmal die Verbindung abreisst, muss man nicht alles noch einmal senden, sondern der Mobile Agent sendet den Rest automatisch, sobald wieder eine Verbindung vorhanden ist.

Intelligenz

Doch Agenten sind nicht nur beweglich, sondern auch intelligent. Daher können sie Informationen nicht nur abfragen, sondern auch filtern. Bei den «Neugents» von Computer Associates repräsentiert jeder Agent ein kleines neuronales Netzwerk, das aus der Beobachtung von Daten selbsttätig lernt. Aus dem Gelernten kann der Neugent dann Prognosen über die zukünftige Marktentwicklung erstellen oder auch deren Anomalien aufzeigen.

Von diesen Softwareagenten gibt es auch eine Variante zum verbesserten Netzwerkmanagement namens «Unicenter TNG Neugents», die - wiederum nach einer Einlernphase - Systemprobleme schon in ihrem Entstehen erkennen können. Der Netzwerkadministrator erspart sich das manuelle Verfassen von Überwachungsrichtlinien und bekommt im Ernstfall alle notwendigen Informationen sofort zugespielt, wodurch sich die Ausfallzeiten verringern, was besonders bei kritischen Systemen ein enormer Vorteil ist.

Intelligente Netze

Seit 1995 die «Mobile Agent Facility» standardisiert wurde, hat sich also schon einiges getan. Doch es wird noch mehr geschehen, denn während es vor zwei Jahren gerade zwanzig Projekte zu diesem Thema gab, sind es derzeit schon sechzig - darunter ACT auf europäischer Ebene und MOTIV von Siemens. Ziel ist es, neben dem Bereitstellen und Filtern von Informationen und der Steuerung und Überwachung von Netzressourcen - was es ja schon auf dem Markt gibt - weitere Anwendungen für Softwareagenten zu finden.

Dabei hat man vor allem die Verbesserung der Telekommunikation im Auge. Dabei denkt man an eine Änderung des Grundschemas, auf dem Kommunikation basiert. Das Grundschema der Telefonie ist Leitungsvermittlung, also das Zuweisen einer freien Leitung von A nach B, ebenso wie GSM auf Zellenvermittlung - der Zuteilung einer Funkzelle für ein Mobiltelefon - basiert, und LAN oder Internet auf Paketvermittlung, dem Transport eines Datenpakets von A nach B. Das neue Grundschema soll «Aktive Paketvermittlung» sein, bei dem Sprache, Bilder und Daten nicht nur in gleichartigen digitalen Paketen transportiert werden, sondern diese mit Hilfe von Softwareagenten, die über das gesamte Netz verteilt sind, intelligent an ihr Ziel gebracht werden. Denn in Wirklichkeit will man ja nicht mit einer bestimmten Adresse kommunizieren, sondern mit einem bestimmten Menschen, der eben zufällig unter einer Adresse zu erreichen ist.

Michael Köttl/fwk


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