Serie GSM

Teil I - Wo bin ich?

Immer mehr nutzen es, immer weniger davon wissen, wie es eigentlich funktioniert. In dieser Serie erfahren Sie, wie GSM funktioniert.


Der Besitzer des Handys weiss natürlich meist, wo er ist. Die Grundlage des freien Wanderns zwischen den Zellen eines modernen Mobilfunknetzes ist aber, dass sowohl Mobiltelephon als auch Mobilfunknetz wissen, wo sich der Besitzer des Telephons aufhält. Das war nicht immer so. Daher ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung des Mobilfunkdienstes.

Öffentlich und beweglich

Der erste Schritt zum mobilen Telefonieren war etwas, was in deutschsprachigen Ländern mit «öffentlicher, beweglicher Landfunkdienst» bezeichnet wurde. Dabei gab es im jeweiligen Land einige regionale Funkstationen mit relativ grosser Reichweite. Der einzelne Kunde musste wissen, im Bereich welcher Funkstation er sich befand und diese Daten seiner Vermittlung mitteilen. Nur dann konnte ein Anruf zum mobilen Teilnehmer weitergegeben werden, denn der Ruf zum Mobiltelephon erfolgte nur von der vorher festgelegten Funkstation. Da das System nur wenige Teilnehmer hatte, der Aufwand für die Netzbetreiber vergleichsweise hoch war und die Gebühren entsprechend, waren diese Netze auch grenzüberschreitend im Einsatz. Ein Masseneinsatz dieser Technik war allerdings nicht möglich, weswegen man nach Alternativen zu suchen begann.

Ortungsprobleme

Das wichtigste zu lösende Problem für ein wirklich mobiles Telephon lag darin, dass man die Aufgabe der Ortsbestimmung nicht dem einzelnen Telephonbesitzer, sondern dem System übertragen musste. Es war auf jeden Fall sicherzustellen, dass nicht durch die Vergesslichkeit des Mobiltelephonbesitzers der Standort des mobilen Telephons dem Netz unbekannt blieb.

Die Lösung war dann gar nicht so kompliziert, wie man das ursprünglich gedacht hatte: Zellen mit einem automatischen An- und Abmeldesystem sowie einem automatischen Weiterreichen von Gesprächen, wenn ein Mobiltelephon von einer Funkzelle in die nächste wechselt. Und in welcher Zelle meldet man sich an? Natürlich in der, in der man sich gerade befindet - würde man glauben. In der Regel ist das zwar wirklich so, aber da die Feststellung der Zellenzugehörigkeit nicht geografisch, sondern im Wege der Bestimmung von Sendeleistungen erfolgt, meldet sich das Handy in der Zelle an, von der es den besten Empfang hat.

Der Teufel lag - wie so oft - im Detail: Das Frequenzzuordnungsproblem musste gelöst werden (siehe auch Bild 1). Dieses Problem ist zwar bis heute nicht wirklich gelöst, es gibt aber bereits einige sehr gute Näherungsrechnungen, so dass man tatsächlich Mobilfunknetze aufbauen kann.

Zuerst musste man jeder «Zelle» eine eigene Frequenz zuteilen. Das hat mindestens zwei Gründe: Zum einen orientiert sich das Mobiltelephon daran, welche Frequenz es am besten empfängt - das ist dann die Zelle, in der man sich aufhält. Zum anderen dürfen sich die Sender, die in angrenzenden Zellen stehen, gegenseitig nicht stören. Das heisst, sie müssen auf verschiedenen Frequenzen senden.

Das Handy selber bzw. seinen Besitzer interessiert natürlich nur, ob er Empfang hat - oder nicht. Das Mobilfunknetz muss aber einiges mehr leisten. Spürt die Basisstation ein Handy in seinem Bereich auf, so fragt es nach der Kennung. Diese wird an eine Zentrale weitergegeben, die überprüft, ob dieser Teilnehmer berechtigt ist. Wenn ja, dann steht dem Telefonieren nichts mehr im Wege - wenigstens so lange, wie ein Gesprächskanal frei ist.

Theoretisch sollte dabei auch festgestellt werden, ob SIM-Karte und das Gerät nicht als gestohlen gemeldet sind. Die International Mobile Subscriber Identity (IMSI) für die SIM-Karte und die International Mobile Equipment Identity (IMEI) werden dazu übermittelt. Man könnte damit sogar den Standort eines gestohlenen Handys ziemlich genau feststellen - wenn man wollte.

So weit die grundlegende Theorie, welche die Basis für eine ganze Reihe von Mobilfunksystemen bildet. Doch schauen wir uns erst einmal an, wie es überhaupt zu GSM kam.

Europäisches Chaos

Dass Europa auf einer ziemlich kleinen Fläche so viele Staaten hat, kommt wohl nicht von ungefähr. Die unterschiedlichen Ideen bei der Realisierung der persönlichen mobilen Kommunikation zeigen das. Vorreiter waren jedenfalls die Skandinavier, die mit ihrem NMT (Nordic Mobile Telephone) Massstäbe setzten. Geräte, die im 450-MHz-Band arbeiten und in allen skandinavischen Staaten (Dänemark, Färöer, Finnland, Island, Norwegen, Schweden) im Einsatz sein können. Einige andere europäische Staaten folgten den Skandinaviern, allerdings ohne deren Ideen vom internationalen Einsatz zu übernehmen: NMT-450 wurde in Andorra, Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Österreich (hier hiess es C-Netz), verschiedenen russischen (damals sowjetischen) Provinzen und Städten, Slowenien, Spanien, der Tschechoslowakei, Türkei, der Ukraine, Ungarn, Weissrussland und Usbekistan eingeführt. Sogar ausserhalb Europas begann NMT-450 seinen Siegeszug: Kambodscha, Saudi-Arabien, Thailand und Tunesien entschieden sich für dieses System. In Indonesien und Malaysia wurde sogar eine eigene Version im 470-MHz-Band installiert.

Der grosse Erfolg führte bald zu Frequenzengpässen, weshalb man auch ein NMT-System im 900-MHz-Band einführte. Ausser Island waren alle Skandinavier wieder dabei. Ausserdem in Europa Jugoslawien, Litauen, die Schweiz (das verwirrenderweise ebenfalls C-Netz genannt wurde), und Zypern. Aussereuropäische Staaten waren Algerien, Grönland, Kambodscha und Thailand.

Die grossen europäischen Industriestaaten Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien spielten allerdings nicht mit: Frankreich entwickelte RC-2000, Deutschland C-450 (und nannten es selbstverständlich C-Netz), und Italien erfand das RTMS-450. Diese nationalen Eigensysteme benutzten noch das 450-MHz-Band.

Das deutsche System wurde - teilweise sogar in Varianten - nur in Portugal und Südafrika verkauft. Das französische konnte im Senegal punkten. Vom italienischen RTMS sind uns überhaupt keine Exporterfolge bekannt.

Grossbritannien liess sich von Motorola eine AMPS-Abart namens TACS für das 900-MHz-Band schneidern. TACS bzw. die erweiterte Form ETACS wurde ein Renner wie NMT: Aserbaidschan, Bahrein, viele chinesische Provinzen, Gambia, Ghana, Hongkong, Irland, Italien, der Jemen, Kambodscha, Kenia, Kuwait, Malaysia, Malta, Mauritius, die Philippinen, Singapur, Spanien, Sri Lanka, Tansania, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Zaire entschieden sich dafür. Auch in Österreich wurde ein TACS-System eingeführt, das dort D-Netz genannt wurde, was dann später als Deutschland und die Schweiz ihr drittes Mobilfunknetz (GSM) einführten und es auch D-Netz nannten (die Österreicher bezeichneten ihr GSM als E-Netz) zu weiterer Verwirrung führte.

Nigeria führte aus Frequenzgründen ein ETACS-800 ein, und Japan verwendete das System unter dem Namen JTACS, wobei J eben für Japan steht.

Unverständnis

Wir wissen alle, dass bereits das Nordic Mobile Telephone Roaming möglich machte. Die Übersichtskarte zeigt ausserdem, dass Europa beinahe flächendeckend mit NMT versorgt war. Sogar in Frankreich gab es - durch den zweiten Netzbetreiber SFR - ein NMT-Netz. Dennoch waren die nationalen Postverwaltungen nicht in der Lage, das Potential, das in international einsatzfähigen Mobiltelephonen steckt, zu erkennen. Auch als in einigen europäischen Ländern TACS bzw. ETACS eingeführt wurde, das schon fast alles konnte, was GSM kann (SMS, Rufnummernanzeige,...), rührte sich nichts. Selbst Besitzverschränkungen wie die zwischen der Telekom Italia und der Telekom Austria bzw. der Telekom Italia Mobile mit dem österreichischen ETACS-Netzbetreiber Mobilkom bewirkten keine Änderung.

Es blieb zwei völlig «untechnischen» Politikern, nämlich Kohl und Mitterand, überlassen, das Problem, das im europäischen Mobiltelefonfleckerlteppich steckte, zu erkennen und ein einheitliches europäisches Mobiltelephonsystem zu fordern.

Sehr eilig hatte man es mit der Etablierung der Groupe Spécial Mobile zwar nicht, aber immerhin, sie wurde 1982 errichtet, und schon vier Jahre später gab es den Kern einer Arbeitsgruppe. Und irgendwie - die postamtliche CEPT wurde inzwischen durch das eher professionelle ETSI ersetzt - entstand dann doch ein Standard. Es war zwar eigentlich wieder ein skandinavischer Standard und kein EU-Standard, und das erste Netz wurde von der finnischen Radiolinja errichtet (Finnland war da noch nicht EU-Mitglied). Das erste GSM-Handy, das in Europa als «Hotline Pocket» verkauft wurde, stammte aus dem damals ebenfalls nicht der EU angehörenden Schweden. Das erste überhaupt genehmigte GSM-Gerät stammte zwar aus Grossbritannien, aber von einer Firma namens Panasonic.

Muntermacher

GSM machte tatsächlich Europas Telekommunikationsszene munter: Man entschied sich zwar erst 1987 für die zu verwendende Funktechnik, aber schon im Jahr davor hatten sich 13 Mitglieder aus 12 Ländern zusammengefunden, um eine MoU-Gruppe zu formen. 1989 wurde GSM dann ein technisches Komitee des ETSI. Im gleichen Jahr erfolgte die Fixierung der Spezifikationen für GSM 900 Phase 1. 1990 - es war noch nirgends ein GSM-Netz im Betrieb - begann man mit dem Regelwerk für DCS, das 1991 fixiert wurde. Auf der Telecom '91 in Genf wurden die ersten GSM-Systeme vorgeführt. Im Januar 1992 begann die finnische Radiolinja mit dem kommerziellen Dienst. Bis Jahresende waren dann insgesamt 13 Netze in sieben Staaten im Betrieb, und die ersten Roaming-Abkommen wurden geschlossen.

Das Grundprinzip

Die Grundeinheiten des GSM sind die «Mobile Station» - im Sprachgebrauch als Handy bezeichnet -, die mit MS abgekürzt wird, das Base Station Subsystem (BSS), das aus Base Transceiver Station (BTS) und Base Station Controller (BSC) besteht, und aus dem Netzwerk-Subsystem, dessen zentrale Komponente das Mobile Switching Center (MSC) bildet.

Die ITU hat für mobile Telefonie in Europa zur Verbindung vom Handy zur Funkstelle den Frequenzbereich 890 bis 915 MHz und für die Gegenrichtung 935 bis 960 MHz festgelegt. Davon hat die damalige CEPT die oberen 10 MHz, also 905-915 bzw. 950-960 für GSM reserviert. Der Rest wurde ja von analogen Netzen wie NMT 900 und TACS/ ETACS bereits benutzt. Inzwischen ist praktisch überall vorgesehen, mittelfristig die vollen 2 × 25 MHz ausschliesslich für GSM zu verwenden.

Zeit- und Frequenzteilung

Bekanntlich sind Frequenzen ein ziemlich kostbares und nicht vermehrbares Gut, weshalb man damit sehr sparsam umgehen muss. Die GSM-Macher entschieden sich für eine Kombination verschiedener Methoden, um die zur Verfügung stehenden Frequenzen optimal auszunutzen.

Zuerst wurden die 25 MHz Bandbreite in 124 Trägerfrequenzen geteilt, von denen jede 200 kHz Bandbreite ausweist. Die Differenz, die sich beim Nachrechnen ergibt, wird für einen Schutzabstand zwischen den einzelnen Trägern benötigt. Das angewandte Verfahren nennt sich Frequency Division Multiple Access bzw. FDMA.

Jede Trägerfrequenz wird dann in acht einzelne Zeiteinheiten bzw. Zeitschlitze zerlegt. Jeder dieser Zeitschlitze steht einem anderen Teilnehmer zur Verfügung: Die acht Teilnehmer, die sich eine Trägerfrequenz teilen, telefonieren niemals gleichzeitig, sondern nacheinander. Das Verfahren heisst Zeitschlitzverfahren bzw. Time Division Multiple Access (TDMA). GSM ist also ein Mischsystem aus FDMA und TDMA.

Damit nun aber der hörende Teilnehmer von diesem Vorgang nichts merkt, muss ein wenig an Technik her. Die Sprache auf der Seite des Senders muss zerlegt und in einzelne Datenpakete, die in einem der Zeitschlitze Platz finden, verpackt werden. Am Empfängerende muss der Vorgang dann wieder umgekehrt werden.

Wie das alles gemacht wird, lesen Sie im nächsten Heft von MOBILE TIMES.

Franz A. Köttl


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