MOBILE TIMES Archiv Startseite : Archiv : Heft 4 : Artikel

Artikel aus Mobile Times 4

PHS & PDC - Japans digitale Netze

Immer wieder taucht die Frage auf, warum Japan eigentlich noch immer kein GSM-Netz hat, obwohl es doch technisch so hoch entwickelt ist. Die Antwort ist verblüffend einfach: Genau deshalb.

Als die Entwicklung digitaler Mobiltelefonnetze einsetzte, hatte eigentlich niemand das Know how. Der Vorsprung der Europäer war vor allem ein Vorsprung der Skandinavier, die mit ihrem analogen NMT bereits Roaming beherrschten und - so seltsam es klingen mag - die Tatsache, dass Europa aus so vielen Staaten besteht.

Die Japaner hatten ihr digitales Mobilfunknetz etwa gleichzeitig mit den Europäern fertig, nur hatten die Europäer bereits ihre Roamingverträge untereinander praktisch in der Tasche. Das war ein so schlagkräftiges Argument, dass die Japaner auf ihrem System mehr oder weniger sitzen blieben. Spätere Versuche, eine Art Gegen-MoU zu errichten, blieben erfolglos.

In Japan hat man aber gelernt und für die Entwicklung der nächsten Generation daraus die Lehre gezogen. Doch davon später.

Die japanische Struktur

Die Wünsche unserer Leser liessen uns einen genaueren Blick auf Japan werfen. Unsere Informationsquelle dabei war Shinya Tanaka vom DoCoMo Forschungszentrum.

Japans Netzbetreiber nennt sich NTT (Nippon Telephone & Telegraph), und dieser hat eine Tochterfirma NTT Mobile Communications Network («NTT DoCoMo»).

DoCoMo hat wieder eine Anzahl regionaler Tochtergesellschaften, die das Mobiltelefongeschäft regional betreiben und ein gewisses Mass an Unabhängigkeit geniessen.

Die japanischen Systeme

Derzeit gibt es in Japan zwei digitale Mobiltelefonsysteme: PDC und PHS. PDC steht für «Personal Digital Cellular» und PHS ist die Abkürzung für «Personal Handyphone System».

PDC wurde zuerst im März 1993 im 800-MHz-Band eingeführt. Schon im April 1994 folgte dann eine Variante im 1500-MHz-Band (1,5 Gigahertz). Heute hat das PDC-System in Japan rund 20 Millionen Teilnehmer, wobei die Bevölkerungs-Coverage 98% beträgt.

Weil PDC einige Nachteile in Bezug auf die Kapazität, aber auch hinsichtlich Hochgeschwindigkeits-Datenübertragung aufweist, wurde ein zweites System namens PHS eingeführt, das als 1900-MHz-Band ausgelegt ist.

Dieses System hat zwar bei weitem nicht die Coverage des PDC, funktioniert aber dafür laut Tanaka auch im Haus und sogar unterirdisch (in U-Bahnen und Kellern) sehr gut. Es hat derzeit sieben Millionen Teilnehmer. Einen Grund für diese hohe Teilnehmerzahl trotz fehlender Flächendeckung sieht Tanaka vor allem darin, dass die Gebühren für PHS niedriger als für PDC sind.

Nachteilig ist natürlich, dass beide Systeme sozusagen geschlossene Benutzergruppen für Japan bilden und mit keinem System ausserhalb kompatibel sind - daher gibt es natürlich auch keine Roamingverträge.

Die nächste Generation

Weil nun Japan bei der ersten digitalen Generation ein vergleichsweises Inseldasein geführt hat und man weiss, dass in der heutigen vernetzten Welt dies durchaus einen Nachteil darstellt, bemüht man sich um so mehr, bei der nächsten Generation vorne mit dabei zu sein.

DoCoMo setzt dabei voll auf W-CDMA - eine Technologie, der auch ETSI bei seiner letzten Entscheidung (siehe MOBILE TIMES Nr. 3 unter dem Titel «UTRA: Ist das der GSM-Nachfolger?») einen wichtigen Platz in der mobilen Kommunikationszukunft einräumt.

Tanaka erläuterte, warum man W-CDMA den Vorzug einräumt, damit, dass W-CDMA ein optimales und skalierbares System darstellt, das es erlaubt, dem einzelnen Teilnehmer je nach Bedarf Bandbreiten zwischen acht Kilobit pro Sekunde und zwei Megabit pro Sekunde zur Verfügung zu stellen, womit man auch für mobile Datenübertragung genügend Kapazität zur Verfügung hat.

Testphase erfolgreich

DoCoMo befindet sich derzeit bereits in einer Phase der Feldversuche und hat auch schon die Datenübertragung mit zwei Megabit erfolgreich demonstriert. Die nächste Testphase startet dann im Herbst, wenn auch die bereits auf der CeBIT ausgestellten Terminals in die Versuche mit einbezogen werden und auch Übertragungen zwischen Basisstation und Endgeräten erprobt werden sollen.

Tanaka erwartet, dass man in Japan bereits Ende 2000 in den Regelbetrieb gehen kann. Ziel aber ist natürlich, dass W-CDMA ein Weltstandard wird. Dazu werden viele Kooperationen nötig sein - die ETSI-Abstimmung war aber sicher hilfreich, obwohl noch nicht wirklich entschieden ist, wo die Grenzen zwischen TDMA und W-CDMA liegen werden.

Tanaka glaubt - und hier legt er Wert darauf, dass dies seine persönliche Meinung ist -, dass es bei den Handys einerseits eine Art W-CDMA light und andererseits Dual-Mode-Geräte geben wird.

In Europa erhofft er sich erste W-CDMA-Netze für das Jahr 2002, wobei er davon ausgeht, dass bis dahin vereinheitlichte Netze möglich sind.

Ein kleines Post Scriptum: Qualcomm, Erfinder des in den USA derzeit eingesetzten CDMA, hat bisher - anders als andere Hersteller und Betreiber (siehe unten) - an keinen DoCoMo-Versuchen teilgenommen, weil das Qualcomm-System völlig anders aufgebaut ist.

Allianzen

Die bisherige Entwicklung wurde im wesentlichen von DoCoMo getragen, doch hofft man, dass sich bald mehr Firmen und Netzbetreiber an den Versuchen beteiligen werden.

Kazuo Moriya ist einer der Vizepräsidenten des DoCoMo, die für auswärtige Beziehungen zuständig sind. Er erläuterte uns den gegenwärtigen Stand an der «politischen» Front.

Schon 1996 begann DoCoMo Verträge zu unterzeichnen, die in der Summe zu einer Art MoU für W-CDMA führen sollen. Der erste dieser Verträge wurde im April 1996 mit SK Telecom (Korea) abgeschlossen. Es folgten im Juli 1997 PT Telecom (Indonesien), im September 1997 Nippon Telecom und im Oktober 1997 mit Telecom Italia Mobile der erste europäische Betreiber. In der Folge kamen Singtel Mobile (Singapur), Telecom Finland (Finnland) und Smart Communications (Philippinen) hinzu. Kurz vor der CeBIT konnte man einen Vertrag mit TOT (Thailand) abschliessen, mit der malaysischen und der Hongkong Telecom war der April als Unterzeichnungsdatum geplant und mit der Volksrepublik China ist ein MoU in Ausarbeitung.

Man geht es diesmal wirklich viel politischer an, als das letzte Mal, wo nur «technisch» argumentiert wurde, und hat daher einer Reihe weiterer Netzbetreiber und Regierungen eine Einladung zur Teilnahme übermittelt, so an:

Asien * Binariang (Malaysia)
* China Telecom
* Telecom-Ministerium (Indien)
* Essar (Indien)
* Hutchison Telecom (China)
* Singapur Telecom
* Telecom Malaysia Berhad
Ozeanien * Telecom Corp. of New Zealand
* Telstra (Australien)
Europa * British Telecom
* Cellnet (Grossbritannien)
* Cable & Wireless (Grossbritannien)
* France Telecom
* Mannesmann Mobilfunk (Deutschland)
* Mobilkom (Österreich)
* Orange (Grossbritannien)
* PTT Telecom (Niederlande)
* Swisscom
* Telefonica de España
* Telecom Italia
* Telia (Schweden)
* Vodafone (Grossbritannien)
Nordamerika * AT&T Wireless (USA)
* Bell Mobility (Kanada)

Bei der Swisscom erklärte man uns übrigens, dass man bereits Interesse nach Japan «signalisiert» habe.

Wie Moriya weiter ausführt, kann DoCoMo natürlich nicht die gesamte Entwicklung alleine tragen und muss sich selbstverständlich von Herstellern helfen lassen. Daher wurden von Beginn an zehn Hersteller ausgewählt, welche die Komponenten für die Versuche zu liefern haben. Es sind dies: Lucent und Motorola aus den USA, Fujitsu, Matsushita Communication, Mitsubishi Electric, NEC, Sharp und Toshiba aus Japan sowie die europäischen Hersteller Nokia und Ericsson.

Wer sich jetzt daran erinnert, welche europäischen Hersteller bei der ETSI-Entscheidung ganz vehement für W-CDMA waren - es waren natürlich Ericsson und Nokia -, weiss damit auch, warum zum Beispiel Siemens andere Vorstellungen hatte.

Zurück zu den DoCoMo-Plänen: Gemäss Moriya haben für 2002 Korea und Japan einen gemeinsamen Traum: Anlässlich der Fussball-Weltmeisterschaft soll das W-CDMA-System stehen und in Betrieb sein.

Noch mehr japanische Mobilität

Die mobile Geschichte von NTT - wir verzichten jetzt auf die verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Veränderungen - begann schon im Mai 1959 mit dem ersten seetauglichen Telefon. Erst 1968 wurde dann Paging eingeführt.

Seit Dezember 1979 gab es Autotelefone, und ab Mai 1996 wurden öffentliche Telefone in Flugzeugen eingeführt. Die eigentliche Mobiltelefonie - damals natürlich noch analog - kam ab April 1987 nach Japan. Die digitale Telefonie (PDC und PHS) haben wir schon weiter oben behandelt.

Derzeit bietet NTT neben den beiden genannten digitalen Mobiltelefon-Standards PDC und PHS auch Paging-Services auf der Basis des von Motorola promoteten FLEX-Standards an. Ein Highlight am Rande: Seit Juli 1996 gibt es «INFONEXT» Pager, die auch japanische Zeichen (Kanji) empfangen und darstellen können.

Satellitenkommunikation erfolgt in Japan über den N-STAR-Satelliten, der alle Regionen des Landes «bestrahlen» kann und auch für die maritime Telefonie eingesetzt wird.

Unter der Bezeichnung «Passage» gibt es seit 1994 ein kombiniertes System, das auf drahtlosem Weg die Datenübertragung bis 32 Kilobit pro Sekunde ermöglicht.

Mobile Computing

DoCoMo entwickelt auch Applikationen und Services sowie PDAs (Personal Digital Assistent) für mobiles Computing. Zum Beispiel gibt es die «10 Yen Mail», mit der sich E-Mails bis 2'000 Zeichen für zehn Yen senden oder empfangen lassen. Ein Packet Data Service namens «DoPa» ermöglicht eine maximale Übertragungsgeschwindigkeit von 28,8 Kilobit pro Sekunde. Die Übertragungskosten werden an der Datenmenge gemessen. «DoPa» ist mit einer grossen Zahl von Internet-Protokollen (darunter auch TCP/IP) kompatibel und eignet sich damit für alles - von der E-Mail bis zum Remote-Zugriff auf LANs.

Schlussbemerkung

Japan ist - was den Mobilfunk betrifft - nicht wirklich anders, und derzeit scheinen die Chancen gut zu stehen, dass Japan nach einer Periode des unfreiwilligen Aussenseitertums wieder in die Hauptströmung zurückkehrt.

Franz A. Köttl/fwk




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 3. Mai 2004
Text © 1998 by Mobile Times; HTML © 2000-2004 by Mobile Times
Valid HTML 4.01!